FSJ-Bericht Lene Baumgart

Ein Jahr Freiwilligenarbeit bei Unámonos

Mein Name ist Lene Baumgart, ich bin 19 Jahre alt und war ein Jahr lang auf Grund eines Freiwilligendienstes in dem lateinamerikanischen Land Peru.
Nach zahlreichen Bewerbungen bei zahlreichen Entsendeorganisationen, wie z.B. Weltwaerts, bin ich über meinen Großvater auf die Stiftung „Unámonos“ gestoßen. Mein Großvater war in den 70-er Jahren für einen Zeitraum von 10 Jahren der Direktor der deutschen Schule v. Humboldt in Lima.
Sowohl meine Mutter als auch ihre Geschwister sind demnach alle in Peru aufgewachsen, weshalb ich schon als kleines Mädchen immer den Bezug nach Peru hatte und der Wunsch, dort auch einmal hinzukommen, immer intensiver wurde. Mein Großvater hat dann über einen ehemaligen Schüler aus Lima von Unámonos gehört und mir Kontaktdaten geschickt, sodass ich mich bewerben konnte. Das ging dann auch einerseits sehr unkompliziert, jedenfalls von Seiten Deutschlands, und andererseits hat es sich dann doch sehr in die Länge gezogen, weil die Schule Unámonos in Peru im Dezember kurz vor den Sommerferien stand und die Organisation meiner Arbeit dort etwas warten musste.

Nichts destotrotz hat sich das dann alles sehr einfach geklärt, sodass ich am 01.03.2013 in meinem Iberia-Flug nach Arequipa, Peru saß.
Meine Ankunft in Peru war etwas holprig, aber schon nach dem ersten richtigen Tag, den ich in Arequipa, einer Gebirgsstadt auf 2400 m Höhe, verbracht habe, habe ich mich sehr wohl und heimisch gefühlt.
Mein zweiter Tag, und somit der 04. März, war wieder Schulbeginn nach den langen Sommerferien und mein erster Arbeitstag bei der „Asociación Unámonos“.
Abgeholt wurde ich von Debbie Manrique, der damaligen Administratorin, die mich zu meiner Klasse gebracht hat und der Lehrerin, mit der ich dann zusammen gearbeitet habe. Wenn man zu Unámonos kommt, betritt man durch eine große, schwere Holz-Doppeltüre einen steinernen Vorhof, auf dem die Eltern morgens ihre Schützlinge abgeben und sie nachmittags wieder in ihre Arme schließen. Durch ein sehr schön verschlungenes und verschnörkeltes Eisentor gelangt man auf den primer patio (erster Hof), auf den das Direktorat, das Sekretariat und die Administration ihren Blick haben. Es gibt noch zwei weitere Klassenräume, da ändern sich aber regelmäßig die Klassen, die diese benutzen. In diesem Jahr war dort auch die „Estimulación Temprana“, in diesem Fall mein Arbeitsplatz. Schon im primer patio begrüßen dich die Schüler von Unámonos, bei denen der Großteil das Down-Syndrom, oder auch bekannt als Trisomie 21, hat. Etwa 5 der damals 85 Schüler waren Autisten und ein paar weitere Vereinzelte hatten ein weiteres/anderes Syndrom. Wie man immer wieder hört oder spätestens bei der ersten Begegnung mit einem Kind mit Down-Syndrom bemerkt, sind das extrem fröhliche, glückliche, strahlende Kinder mit einer faszinierenden und fesselnden Ausstrahlung.

Ohne dich vorher ein Mal gesehen zu haben im Leben, kommen sie auf dich zu, umarmen, herzen, grüßen dich, wenn du ihnen nur ein kleines Lächeln schenkst. Anfangs ist das ein etwas befremdliches Gefühl, man gewöhnt sich aber schnell daran und nach kurzer Zeit lernt man es sehr Wert zu schätzen und es zu vermissen, wenn man es nicht mehr hat. 
Von dem primer patio gelangt man in den segundo patio (zweiter Hof), in dessen Mitte sich ein grün-farbiger Teppich befindet, auf dem mehrere Spielplatz-Gerätschaften, wie Plastikrutschen oder ein kleines Spiel-Gartenhaus, für die Schüler jüngerer Klassen zur Verfügung stehen. 
Von dem segundo patio kann man nun entweder links die Treppe nach oben wählen oder rechts in den tercer patio (dritten Hof) weitergehen. 
Im tercer patio gibt es richtigen Rasen und ein großes Klettergerüst für die schon etwas älteren Kinder, von der 1. bis zur 4. Klasse. 
Wählt man die Treppe nach oben, befinden sich dort die 5. und 6. Klasse, der Balkon für den Sportunterricht und die Räumlichkeiten der beiden Programme „Ruth Rey de Castro“ und „Jaime Rey de Castro“, die die Schüler von Unámonos innerhalb von 3 Jahren auf ein Arbeitsleben vorbereiten und sie dann auch später in einen Beruf versuchen einzugliedern. Läuft man auf einer Art Balkon an dem ganzen oberen Stockwerk entlang und an allen drei patios vorbei, kommt man zu der Haupttreppe, die wieder in den primer patio führt. 

Der gesamte Komplex wirkt sehr hell und freundlich, weil er aus dem für Arequipa berühmten weißen Vulkangestein „sillar“ besteht.
Im alten Stadtkern und -zentrum Arequipas, in dem sich auch Unámonos befindet, sind die meisten Gebäude aus sillar, dem die Stadt ihren Namen „la ciudad blanca“ (die weiße Stadt) zu verdanken hat.

Nun zu meiner eigentlichen Arbeit in der „Estimulación Temprana“ (wörtlich übersetzt: Frühkindliche Stimulation) und meiner liebevoll genannten Tía Teresa (Tante Teresa), die ursprünglich als Psychologin gearbeitet hat und jetzt seit 30 Jahren für, mit und bei Unámonos arbeitet.
Wie es auch schon in den Worten „Frühkindliche Stimulation“ steckt, gilt es hierbei, mit den Kindern so früh wie möglich mit dem Arbeiten anzufangen, sodass sie sich möglichst normal entwickeln können.
Die jüngsten Geschöpfe waren drei Tage alt und sollten, wenn es gut läuft, ab dem 3. Lebensjahr in eine Art Vorschule eingegliedert werden.
Zum Unterricht kommt meistens ein Elternteil oder ein vertrautes Mitglied aus der Familie oder dem Freundeskreis mit, um dann mit dem Kleinkind zusammen zu arbeiten. Wir hatten drei dunkelgrüne Matten, wie man sie aus dem deutschen Schulsportunterricht kennt, die auf dem Boden vor einem Spiegel liegen, der sich über die ganze Wand zieht. Sinn und Zweck dieses Spiegels ist, dass diese kleinen Schüler sich selbst beim arbeiten zusehen können, gleichzeitig aber auch immer die Gewissheit haben, dass sich ihre Mutter noch hinter ihnen befindet, auf sie aufpasst und sie nicht im Stich lässt. Grundsätzlich kann man sagen, dass diese Kinder sehr stark auf Emotionen mit ihren eigenen Emotionen reagieren.
Heißt, wenn eine Mutter sehr traurig war, oder noch immer in einer Art Schockzustand aufgrund der Krankheit ihres Kindes, hat sich das extrem auf das Verhalten und auch auf den Lernprozess des Kindes ausgewirkt. Vor Allem diese Kinder brauchen sehr viel Rückhalt, ständige Bestätigung und für die meisten Eltern ist das am Anfang noch sehr schwierig.

Als Entwicklungsland gehört es in Peru nicht zur Allgemeinbildung, dass man sich ein bisschen über das Phänomen „Down-Syndrom“ auskennt. Dafür hat die Direktorin Jimena Díaz ein neues Programm gestartet, das darin besteht, dass die Eltern der Estimulación Temprana jeden Donnerstag um 12 Uhr einen kostenlosen Vortrag von Ärzten, Lehrern, Ernährungsberatern, Eltern mit dem gleichen Schicksal, etc. bekommen, um erst einmal eine Grundinformation über diese Behinderung zu erhalten. Selbstverständlich konnten alle Eltern aller Schüler der gesamten Schule an diesen Vorträgen teilnehmen.
Neben diesen Vorträgen gehört zum Programm der Estimulación Temprana eine Physiotherapie-Stunde, eine Behandlung der hauseigenen Logopädin und zwei Mal die Woche eine dreiviertel Stunde bei Teresa.
Teresas Programm ist über das ganze Jahr hin gestaltet und fängt ruhig an, um das Niveau und die damit verbundene Entwicklung dann stetig zu steigern.
Am Anfang der Stunde finden sich die pro Klasse etwa 3–6 Mütter mit ihren Kindern auf den Matten zusammen und beginnen, die Hände zu stärken und die Hand-Objekt-Koordination zu verbessern.

Beispielsweise bekommen die Kinder kleine Kugeln, die sie dann durch eine normale Öffnung in eine 0,5-Liter Flasche befördern müssen. Um das zu können, müssen sie genug Kraft in den Händen und anschließend genug Fingerspitzengefühl und Konzentration haben, die Kugel direkt in die Öffnung zu treffen. Anfangs hilft man den Kindern dabei, aber ich habe schon nach kurzer Zeit bei den meisten einen schnellen Fortschritt bemerkt und dann konnte man zu ähnlichen, aber schwierigeren Übungen übergehen.
Sind die kleinen Händchen erst einmal gestärkt, bekommt jeder Schüler eine kleine Trommel zwischen die Beine, zwei Schläger in die Hand, Teresa macht rhythmische Kinderlieder an und es wird im Takt zu der Musik ein bisschen getrommelt.
So sollen die Kinder ein Rhythmusgefühl entwickeln, das ihnen später nicht nur beim Sprechen, sondern auch beim Laufen helfen soll.
Jetzt kommen noch die Rasseln dran oder ein Xylophon und dann setzen sich alle gemeinsam an einen großen Tisch, auf dem schon weißes Papier mit vorgezeichneten Formen liegt, die die Kinder ausmalen müssen. Jegliche Techniken, von Wischen bis Tupfen, werden abwechselnd angewendet, oder man macht eine Bastelstunde, bei der erst Papier auseinandergerissen werden muss und dann eine Sauerei mit dem Kleber angestellt werden darf.
Wenn dann noch Zeit ist, gibt es eine 4-farbige Ampel, die dazu dienen soll, die Farben rot, blau, gelb und grün zu lernen und zu verinnerlichen.

Ein Arbeitstag bei Unámonos geht um 08:30 Uhr los, endet um 13:30 Uhr und in der Estimulación Temprana hat man auf den Tag verteilt etwa 4 – 6 Klassen.
Ich bin dann im Anschluss immer in die Gastfamilie gefahren, bei der ich gewohnt habe, um dort lecker Mittagessen zu bekommen und den Nachmittag dann frei gestalten zu können. Das Leben selber ist ein Peru billiger als in Deutschland, dennoch summieren sich natürlich ständige Taxi- oder Busfahrtkosten und so billig kommt man dann am Ende auch nicht weg. Ein Schuljahr hat in Peru im Juli etwa einen Monat Winterferien und dann ab Weihnachten bis Anfang März, also etwa zweieinhalb Monate Sommerferien, die die meisten peruanischen Familien am Strand verbringen.

Ich kann meine Arbeit bei Unámonos nur als wunderschöne Erfahrung bezeichnen, bei der ich sehr glücklich war und viel gelernt habe. Das Jahr war nicht eintönig und wurde auch nicht langweilig. Ich habe diese Arbeit nie als wirkliche „Arbeit“ empfunden, weil es mir immer riesigen Spaß gemacht hat und bei Unámonos keine strenge Arbeits¬atmosphäre herrscht. Das Personal geht sehr herzlich miteinander um, die Eltern sind mit den Lehrern befreundet, jeder Lehrer liebt seine Schüler und kämpft unendlich für sie, was die Kinder wiederum merken und einem ihr Vertrauen und ihre Zuneigung schenken.
Dieses Jahr bestand nicht nur daraus, dort jeden Morgen pünktlich aufzutauchen und dann den immer selben Verlauf jeden Tag durchzumachen. Ich durfte beispielsweise die Klasse drei Wochen lang alleine unterrichten, als Teresa eine Europareise genehmigt wurde. Oder es gab alle paar Monate ein großes Fest im primer patio, auf das dann lange hingearbeitet und vorbereitet wurde und bei dem jede Klasse etwas vorgestellt hat.
Es werden ein Mal im Monat Ausflüge gemacht mit der ganzen Schule und manchmal gibt es an Wochenenden freiwillige Sonderveranstaltungen.

Ich hatte mein Rückflugdatum für den 29. Juli geplant, also genau 5 Monate nach meiner Ankunft in Peru und habe ihn einen Monat vor dem Rückflug um 7 weitere Monate nach hinten verschoben.
So war ich genau ein Jahr lang dort und konnte abzüglich der Ferien neuneinhalb Monate bei Unámonos helfen.
An Wochenenden oder eben in den Schulferien kann man sich etwas Zeit nehmen, das Land oder/und die umliegenden Länder zu erkunden und ein wenig rumzureisen.
Ein Taschengeld bekommt man nicht, jedoch hat man selber keine Kosten für Unterkunft und Verpflegung und muss nur seine persönlichen Ausgaben bezahlen.
Die peruanische Küche zählt zu den Besten der Welt, was einem auch täglich bewiesen wird, nur muss sich ein deutscher Magen erst einmal an diese neuen Zutaten, Gewürze und Zusammensetzungen gewöhnen, sodass ich auch nach einem Jahr immer noch gerne mal für ein Tag wegen schlimmer Magenkrämpfe oder –Verstimmungen im Bett lag.
Es herrscht dort ein ganz anderes Leben und ein Kulturschock ist unvermeidlich, aber das Lebensgefühl ist dadurch nicht schlechter. Im Gegenteil: Ich war so glücklich dort, dass ich mir nicht vorstellen konnte, das nach fünf Monaten schon wieder aufgeben zu müssen.
Ich habe mich für die Verlängerung entschieden, was ich für eine der besten Entscheidungen meines bisherigen Lebens halte. Ich rate jedem, der so etwas in Erwägung zieht, es sofort zu tun und keine Sekunde daran zu zweifeln. Ich habe so viele neue, tolle Leute kennengelernt, seien es Freunde, die Gastfamilie oder die Mitarbeiter von Unámonos, zu allen habe ich jetzt noch viel Kontakt und ich kann es kaum erwarten, alle irgendwann wiederzusehen.
Das Leben in Arequipa und die Arbeit bei Unámonos sind eine große Freude und ich würde es jederzeit wieder tun!

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